Einführung in die Zentralprojektion III

Grundlagen: Zentralperspektive / innere Orientierung

In den folgenden Fenstern ist jeweils im Schrägriss ein Haus auf der Grundebene gezeichnet. Auf der Grundebene steht rechts senkrecht die Bildebene mit ihrer Grundspur e. Rechts daneben befindet sich (in der verlängerten) Grundebene der Standpunkt S, über dem das Auge O der Zentralprojektion schwebt. Die Strecke SO heißt Sehhöhe s. Der Fußpunkt des Lotes vom Auge auf die Bildebene heißt Hauptpunkt H, sein Abstand zum Auge ist die Distanz d. Waagrecht durch H geht der Horizont h.

Sie können in Fenster 1 die Anordnung durch Bewegen von S und O verändern. Den Standpunkt S können Sie parallel zur langen Kante der Grundebene verschieben und das Auge O können Sie vertikal verschieben.

Im Kontextmenü der Fenster (Rechtsklick!) können Sie jederzeit den Urzustand der jeweiligen Konstruktionen restaurieren.


Fenster 1

In Fenster 1 stehen die Längskanten der Grundfläche des Hauses senkrecht zur Bildebene; damit stehen die Giebelfronten des Hauses parallel zur Bildebene. Die Längskantengeraden durchstoßen die Bildebene in den Spurpunkten G1 und G2. Die Bilder der Längskantengeraden gehen durch diese Spurpunkte und gemeinsam durch den Hauptpunkt H (Begründung s. Fenster 3). Damit ergeben sich die Bilder dder Längskanten über die zugehörigen Sehstrahlen im Schnitt mit den Längskantengeraden.

 

In Fenster 2 ist das Haus um 90° gedreht. Nun stehen die Querkanten der Grundfläche senkrecht zur Bildebene und damit die Längsfrontern parallel zur Bildebene. Die Querkantengeraden haben die Spurpunkte G3 und G4. Damit gehen die Bilder der Querkantengeraden durch diese Spurpunkte und gemeinsam durch den Hauptpunkt.


Fenster 2

Tipp: Sie können das Haus drehen, indem Sie den Punkt D längs der Kreislinie verschieben. Wir werden später bei der Übereck-Perspektive darauf zurück kommen.

 

In Fenster 3 betrachten wir nur die beiden Geraden g und g1 der einen Längsfront. Deren Spurpunkte in der Bildebene sind G und G1. Das Lot vom Auge O auf die Bildebene mit dem Lotfußpunkt H ist parallel zu g und g1, da alle drei senkrecht zur Bildebene stehen.

Auf g ist links der Hilfspunkt X samt Sehstrahl von O aus eingezeichnet. Wenn Sie X längs g wandern lassen, dann wandert dessen Bildpunkt Gx als Durchstoßpunkt des Sehstrahls mit der Bildebene irgendwo in der Bildebene und beschreibt dabei die Bildgerde gc.

Die Lotgerade OH, die Gerade g und der Sehstrahl von X bilden eine Wechselwinkelfigur, liegen also in einer gemeinsamen Ebene, der Sehstrahlebene der Gerden g. Zwei (nichtparallele) Ebenen schneiden sich immer in einer Geraden. Also schneiden sich die Sehstrahlebene und die Bildebene in einer Geraden; also ist die Zentralprojektion geradentreu.


Fenster 3

Allgemein gilt: Jede Gerade g durchstößt die Bildebene im Spurpunkt G (oder ist parallel zur Bildebene). Also ist G zugleich ein Punkt Gc der Bildgeraden gc. Um die Bildgerade gc zeichnen zu können, wird ein zweiter Punkt benötigt. Den erhält man, indem man den gedanklichen Hilfspunkt X auf der Geraden g von der Bildebene wegwandern lässt und dabei beobachtet, wohin sich dessen Sehstrahl bewegt. Je ferner X wegwandert, desto spitzer wird der Winkel zwischen g und dem Sehstrahl. Wenn F unendlich fern ist (X heißt dann Fernpunkt Gu von g), ist dieser Winkel auf Null geschrumpft, der Sehstrahl ist also parallel zur Geraden. Der Durchstoßpunkt dieses Sehstrahls ist der Fluchtpunkt Guc der Geraden g (Guc ist das Bild von Gu) und dieser Fluchtpunkt ist der gesuchte zweite Punkt zur Bestimmung von gc.

Die Namen der abgebildeten Punkte und Geraden usw. einer Zentralprojektion erhalten ein hochgestelltes c zur Kennzeichnung; das erinnert an die mittelalterliche Centralperspektive.
Wenn Sie zum Fernpunkt einer Geraden zeigen wollen, zeigen Sie automatisch in Richtung der Geraden, also parallel zu ihr. Mathematisch ist Fernpunkt einer Geraden synonym zu Richtung der Geraden. Eine Gerade g besteht aus unendlich vielen eigentlichen Punkten und dem Fernpunkt Gu (nur einer, denn die Gerade hat auch nur eine Richtung), der deshalb uneigentlicher Punkt heißt (daher das u im Namen Gu).

Verläuft die Gerade g horizontal, dann auch der Sehstrahl zu deren Fernpunkt; dann liegt ihr Fluchtpunkt Guc auf dem Horizont h. Verläuft die Gerade in der Grundebene, liegt zusätzlich ihr Spurpunkt G = Gc auf der Grundspur e. Beides ist in Fenster 3 der Fall.

Alle zur Bildebene senkrechte Geraden, wie z.B. g1, haben die selbe Richtung, also den selben Fernpunkt, also den gleichen Sehhstrahl zum Fernpunkt und somit den gleichen Fluchtpunkt, nämlich den Hauptpunkt H.


In Fenster 4 untersuchen wir eine Diagonale e der Längsfront. Die ganze Längsfront hat die Spur f in der Bildebene, also hat die Gerade e dort den Spurpunkt E; der Fluchtpunkt ist Euc. Also geht das Bild ec von e durch E und Euc, wobei Euc auf der Fluchtspur (Vertikale durch H) der Längsfront liegt.


Fenster 4
 

Auch in zentralperspektiven Bildern gibt es natürlich Geraden, die nicht senrecht zur Bildebene stehen. Ein Beispiel ist die Sitzbank in Dürers Hieronymus. In Fenster 5 untersuchen wir mit Hilfe der Sitzbank die innere Orientierung der Aufnahmesituation im Hieronymus-Stich. Die Szene ist von oben gesehen; die Grundfläche der Sitzbank erscheint somit als unverzerrtes Rechteck und die Bildebene davor "projizierend" als Gerade. Zu den zwei Kanten g1 und g2 gehören die beiden Flucktpunkte G1uc und G2uc in der Bildebene. Weil vom Auge O aus G1uc und G2uc wegen der rechtwinkligen Sitzbank ebenfalls unter einem rechten Winkel erscheinen, kann der zugehörige Thaleskreis gezeichnet werden. Die Höhe d im Dreieck ist die gesuchte Distanz des (Dürerschen) Auges zur Bildebene.

Wenn Sie den Drehpunkt D längs des gestrichelten Kreises bewegen, dreht sich das Rechteck mit. Wenn Sie das Rechteck dadurch in die 45°-Richtung drehen, fällt das Thaleskreisdreieck mit dem vorgegebenen rechtwinklig-gleichschenkligen Dreieck zusammen, dessen Basis den Durchmesser des Distanzkreises darstellt. Somit ist klar, dass die Fluchtpunkte aller 45°-Geraden auf dem Distanzkreis liegen müssen und weil das Drehen des Rechtecks nichts an der inneren Orientierung ändert, ist mit Hilfe der Fluchtpunkte zweier sich schneidender rechtwinkliger Geraden die Distanz festgelegt.


Fenster 5

Sie können das Auge O im Fenster frei bewegen. Bei Querbewegungen ändert sich die innere Orientierung (die Distanz) nicht. Die Zeichnung rund um O wird einfach quer verschoben. Längsbewegungen ändern jedoch die Größe dieses Teils der Zeichnung und somit auch die Distanz (die innere Orientierung).

Aber bei jeder Bewegung ändert sich die gegenseitige Lage von O zum Objekt (Sitzbank), was sich auf die Zeichung auswirken wird. D.h., die äußere Orintierung der Anordnung ändert sich. Machen Sie sich klar, dass sich die innere Orientierung nicht ändert, wenn die Bank verschoben wird; aber deren Bild wird sich ändern. Daher unterscheiden wir innere und äußere Orientierung. In Fenster 5 entspricht die äußere Orientierung nicht derjenigen im Hieronymus, schon deshalb nicht, weil das Auge beweglich ist.

Im Originalstich ergeben sich laut Dr. Ulshöfer ca. 11,7 cm. Das entspricht nicht der deutlichen Sehweite von ca. 30 cm, mit der z.B. ein Zeitungsleser in die Zeitung sieht. Wenn wir aber alle Maße ca. verdreifachen, erreichen wir die deutliche Sehweite. Aber der Stich wird eben auch dreimal so breit und dessen linke Wand ist ohne Augendreher nicht mehr zu betrachten; daher erscheint sie so verzerrt.

Das rechtwinklig-gleichschenklige Dreieck mit der Basislänge 2d stellt den Blickwinkel innerhalb eines 90°-Sehkegels dar; zusätzlich ist ein 53°-Sehkegel gestrichelt angedeutet, den man bei einer Basislänge 1d erhält. Erfahrungen zeigen, dass alle Objekte innerhalb eines 60°-Sehkegels mit unmerklicher Verzerrung dargestellt werden, da ist der leichter zeichenbare 53°-Sehkegel eine gute Näherung. Die Bilder in Abschnitt 2 zeigen, dass z.B. die gesamte linke Wand außerhalb des 53°-Sehkegels liegt, d.h., dass sie konstruktiv zwar richtig, aber stark verzerrt abgebildet ist.

Zurück

Dietrich Tilp | 01.2017